Max Rüdlinger über Polo Hofer
In der Sonntagszeitung Zürich, 30. Juli 2017.
Jetzt hat Hofer also gehen müssen. Ist das jetzt wirklich nicht anders gegangen? Wir hienieden hätten doch erstklassige Entertainer um einiges nötiger als die im Himmel!
Sänger, bei denen taube Menschen sich weigern, von deren Lippen abzulesen, haben wir nämlich zuhauf. Was unser Polo aber gesungen hat, das war gedichtet. Gut, ab und zu hat er schon auch danebengegriffen: “Wenn i ä Muschle wär, denn wär i immer zue…” So ein Blödsinn! Ausgerechnet der Hofer. Der brauchte doch nicht eine Muschel zu werden, um dicht zu sein.
Ein Journalist hat den Sänger mal gefragt, warum er immer noch so gut singe, auch wenn er zu sei. Da sagte der, er übe eben auch in diesem Zustand.
Als wir in Ägypten vor den Pyramiden drehten, keuchte er heiser: “Z Bescht a dem Land isch, dass es Durscht git!”
Das Drehen mit ihm war stets eine Freude, auch wenn er dabei zumeist auf den Stockzähnen lächeln musste. Bei aller Improvisation war er nie um eine träfe Replik verlegen. Der Mann war so was von schlagfertig. Wenn Leute auf ihn zukamen und ausriefen “Du bisch dr Polo”, sagte er cool: “I weiss.” Oder wenn ihn jemand anging mit “Sit dir de Polo Hofer?”, pflegte er manchmal zu antworten: “Hüt nid!” Kürzlich war ich dabei, als einer zu ihm sagte: “Du bisch dr Polo!” Da sagte er: “Emel das, was no vo ihm übrig isch!”
Polo als Louis Armstrong mit Schuhwichse im Gesicht.
Bereits als der Dreh zur “Vogelpredigt” anstand, hatte der Sänger mit gesundheitlichen Kalamitäten zu kämpfen. Als es dann endlich doch losging, dachte ich mir, das könne ja heiter werden, wenn der Kerl auf Entzug sei. Denkste.
In der ersten Autobahnraststätte bestellte er zwei Cüpli. Ich dachte, eines sei für mich. Nix da, meinte der Dursthahn, er könne doch nicht eines so trocken runterwürgen!
Furchtlos war der Kerl! Wahrscheinlich in Überwindung seiner frühkindlichen Ängstlichkeit. Was mir niemand abnehmen wird: In seiner Essenz war Polo feinfühlig bis zur Schüchternheit. Als Kind ging er kaum nach draussen. Den Hofer konnte man nicht zum Posten schicken, zum Bäcker oder so, schon gar nicht zum Metzger. Er hatte Angst vor diesen Leuten. Lieber blieb er zu Hause in der Stube und knabberte an der Tapete. Oder das Telefon abnehmen? Doch nicht der Hofer! Da hätte ja der Wolf oder das Rotkäppchen oder weiss der Gugger wer dran sein können.
Aber dann trat er anlässlich eines Pfadi-Abends vor achthundert Leuten im Kursaal Interlaken auf — als Louis Armstrong mit Schuhwichse im Gesicht. Da habe er gemerkt, dass er Charisma habe. Von da an sei er wie ein umgekehrter Handschuh gewesen.
Er muss sich aber wohl auch was von seiner essenziellen Feinfühligkeit bewahrt haben. Und das dürfte dann seinen späteren Erfolg ausgemacht haben: Diese paradoxe Mischung eines poetisch-subtil Scheuen mit der in Hunderten von Chilbiauftritten gestählten Präsenz eines Schützenpanzers.
Das Elementare des Showbiz hat Polo dessen Vater Hofer-Johnny aufgezeigt. Dieser war Präsident der IGA, der Interlakener Gewerbeausstellung. Vor deren Eröffnung hatte Hans seit dem frühen Morgen stets ein wenig dem Weissen zugesprochen. Er, der einen stattlichen Bauch hatte, soll sich stets geweigert haben, seine Hosen mit Hosenträgern zu sichern. Vom Weissen befeuert, habe er sich dann als Redner in einen Furor geredet und dabei nicht gemerkt, dass ihm die Hosen immer weiter runterrutschten. Das habe die Zuhörerschaft in Bann geschlagen. Als die Hosen auf Hansens Knien angelangt seien, hätten die Mutter und er, Polo, es nicht mehr länger im Saal ausgehalten. Das musste dem jungen Hofer eindrücklich die Prinzipien des Schaugeschäfts aufgezeigt haben: Hochtönerei und die Hosen runter lassen.
Ein drittes Prinzip, das Polo als Figur der Öffentlichkeit beherrschte, war das Spielen mit dem Feuer, um seine Popularität im Brennpunkt zu halten. Auch das hatte er aus der Pfadi. Da waren sie mal im Lager in Südfrankreich. Ihre Latrine war ein Geheimtipp unter den Schmeissfliegen der Region. Fähnliführer Hofer fasste dann den Auftrag, die Grube zuzuschaufeln. Körperlicher Arbeit nie speziell zugetan, befand er, das Problem lasse sich auch aus der Welt schaffen, indem er die Scheissblättchen anzünde. Eine Schnapsidee! Die brennenden Blättchen wirbelte es in die Luft, sodass das dürre Gras zu brennen anfing und alsbald alles in Flammen stand. Polo und seine Getreuen riefen “Fürio, Fürio!” — und das in Frankreich. Kein Wunder, dass die längste Zeit niemand aufkreuzte. So tunkten Polo und seine Knechte ihre Pfadikrawatten in den Bach und schlugen damit auf das Feuer ein. Auch leerten sie Tee und Birchermüesli in die Flammen. Aber es nützte alles nichts. Das Feuer griff auf einen Wald über, und als die Pompiers endlich aufkreuzten, blieb ihnen nur noch, das restliche Südfrankreich vor dem Abbrennen zu bewahren.
Jetzt ist der paramilitärische und späterhin musikalische Feuerwerker in die ewigen Jagdgründe eingegangen. Ich bin sicher, er geniesst den Aufenthalt in der Ungebundenheit des Geistigen ebenso, wie er die Show auf der Bühne des Lebens genossen hat.