Zur dritten Auflage: ich bin froh, das Buch kommt langsam in Form und Fahrt, jetzt sind alle Druckfehler weg, die Helvetismen gebändigt, stilistische Ecken gefeinert, alles dank lieben Lesern und Kritikern der ersten und zweiten Auflage. Grazie tante. Der Text hat ja schon einiges hinter sich, seit dem Jahre 2000 bin ich an ihm und zwar, weil ich nach Berlin eingeladen wurde und zwei Monate in einer völlig leeren, aber modernen Wohnung, alles im rechten Winkel und schön warm, mich fragte, wieso ich eigentlich in diesem schrägen, buckligen, steinigem, kaltem – auch innen kaltem! – Umbrien seit dreissig Jahren hängengeblieben bin. Ich ging an den Kudamm und kaufte mir den ersten Laptop und fing an, mit einer ICH-Figur bei Regen in der Garibaldi-Bar. Der Text hiess zuerst “Umbrisches Feuer”, weil mich die brennenden Frauen Umbriens, die es noch heute jedes Jahr gibt, sehr beschäftigten. Diese Unglücke haben mich dann auch zu der langen Zeichnungs-Erzählung “Primavera umbra: la nonna che brucia” (Umbrischer Frühling: die Grossmutter brennt) geführt. Und dazu natürlich die endlosen Diskussionen in unserer, leider nicht mehr existierenden, glücklichen Künstlerkolonie über das Heizen, das Kaminbefeuern und über den Rauch, vorab über den Rauch, da wollt ich erst einen Rauch-Führer schreiben und zeichnen.
Ein Buch schreiben! Wie wunderbar, man kann einfach alles schreiben und man darf es so stehen lassen, denn es ist ja kein DREH-buch, es ist ein BUCH! Ich habe jahrelang DREH-bücher geschrieben und sie heissen so, weil alle Redaktionen, Kommissionen sie dauernd verdrehen dürfen. Mit Marcus Nester, meinem Lunte-Kollegen, hatte ich ganz zu anfang ein DREH-buch, noch unter Altmeister Kurt Früh, unserem Lehrer, aus lauter Verzweiflung zu einem gemeinsamen BUCH umgeschrieben, dass dann überraschend ein Knüller wurde, jetzt aber wegen Nachahmungsgefahr zur Auslieferung verboten ist, was mich natürlich hämisch freut. Und jetzt zum zweiten: ich liebe ja das liebe Schweizer Fernsehen und wenn man da mitmachen darf, muss das immer für Sonntagabend und voll familientauglich sein, aber immer PC am PC (Political Correctness am Compi) das wollte ich diesmal nicht, deswegen hiess das Buch bald nicht mehr “Umbrisches Feuer” sondern “Liebe, Sex und Immobilien in Umbrien” Untertitel “Ein Ratgeber!”. Doch aus lauter Angst vor meinem Mut, liess ich es unter Pseudonym drucken. Jetzt habe ich ja mein coming-out als Autor hinter mir und die neun Sexszenen bleiben trotzdem drin, alle dreissig Seiten eine, das zieht doch den Leser durch den Text, denke ich. Marcus und ich machten dann ein weiteres Buch, ein echtes DREH-Buch: wir schrieben sieben Fassungen für einen Schweizer Tatort und die SF-Redaktion war so unter ARD-Stress-Schock-Starre, dass ich, wenn ich an die Sitzungen kam, oft nicht wusste, ist diese Figur jetzt erschossen, verhaftet oder aus Budgetgründen gar nicht mehr vorhanden. Sogar während des Drehs haben sie mir drei Figuren aus dem Drehbuch verschwinden lassen und bei einer weiteren Figur haben sie mir dieser sogar innerhalb von zwei Stunden vor dem Ciak das Geschlecht gewechselt.
Dann kam die Retro am Filmmuseum München und zum ersten Mal eine grössere Auflage, die ich haha “Die Leichtigkeit des Schweins” nannte, was mir nachher etwas peinlich war, dieses Kalauern, sodass ich eine weitere Klein-Auflage nach meinem Idol dem ital. Schriftsteller Ignazio Silone (Wein und Brot) aus den nahen Abruzzenbergen als “Zucker und Salz” druckte. Ich kann seine Romane sehr empfehlen, er schrieb sie während des 2. Weltkriegs im Exil in Zürich, und hat dabei möglicherweise die anderen ital. Exilanten in Zürich etwas für den Faschismus beobachtet um seinen Bruder im faschistischen Gefängnis in Italien vor dem Tod zu retten, eine Wahnsinnsgeschichte. Mein Buch heisst jetzt endgültig “Schwein gehabt” und zwar weil ich es knapp schaffte, die verschiedenen Figuren und Geschichten teilweise auch als Rahmenhandlungen durcheinanderzuflechten und wenn die Leser durchhalten, das Ganze, den Text wie einen geflochtenen Korb mitkriegen. Jetzt, wo ich das schreibe, bin ich wieder hier in Pozzorotto, in den krummen steinigen alten und kalten Wänden, ich komme wohl nicht mehr davon weg, das grosse Haus, (die “Schule” im Text) hält mich gefangen, drüben im Pfarrhaus ist zwar ein neuer Priester eingezogen, Don Marco. Der lange dünne und strenge Don Giovanni ist uralt und in Rente, manchmal sehe ich ihn ganz langsam und ganz in Schwarz dem Fluss entlanggehen. Der neue ist klein und untersetzt und trägt meist ein Chäppi wie ich, auf der Piazza werden wir oft verwechselt, weil er trägt im Gegensatz zum strengen Don Giovanni die Soutane nur an Zeremonien, sonst trägt er Casual-Kleider, wie ich. Ich hab ihm schon angeboten, ihn, wenn er in die Ferien gehen will, zu ersetzen, die paar lateinischen Verse – lirum, larum, Löffelstiel – kann ich auch und die paar gekrümmten Weiblein in der ersten Reihe sehen den Unterschied zwischen mir und ihm sowieso nicht mehr. Langsam hätte ich Lust, vielleicht noch Priester werden. Den Gemüsegarten vor mir hat Don Marco allerdings verludern lassen, es stehen jetzt Autos auf dem Gelände, aber aus dem Keller leuchten immer noch die Gummistiefel von Don Giovanni, die dieser ihm hinterlassen hat, ein weiterer Mord läge also drin. “Nachtwahn am Pomonte” schwant mir als Titel. On verra. Muss mich noch mit Mauro von der Bar besprechen und den Gianni plus Nipotino für etwas mehr Freizeit fragen. Buona Pasqua!
Die dritte Auflage erscheint am 16. April 2012. Mehr auf www.dielunte.com.