Das Ächzen der Asche in der Presse
Matthias Lerf im Tages-Anzeiger, 26. Januar
Historisch: Der neue Klopfenstein als Mitternachtsvorstellung im Landhaus, wo vor 29 Jahren seine «Geschichte der Nacht» Premiere hatte. Und hochmodern: Der neue Film mit Max Rüdlinger - und der letzte mit Polo Hofer - wird zu grossen Teilen negativ präsentiert, das Weisse ist schwarz und umgekehrt. Das funktioniert bestens.
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Sonntagszeitung, 21. Januar 2018
Verkehrte Welt: Regisseur gefressen, Hauptdarsteller geflohen - die unglaubliche Entstehungsgeschichte von Clemens Klopfensteins "Das Aechzen der Asche", dem letzten Film mit Polo Hofer
Polo Hofer ist tot. Max Rüdlinger ebenfalls. Versteinert liegen die beiden in einer Gruft. Halt. Max beginnt sich zu bewegen, zuerst zaghaft die Hände, dann den Kopf. «Polo» ruft er, aber beim Vis-à-vis rührt sich nichts. Da steigt Max kurzerhand aus dem Grab, raus ans Licht. Dort aber ist alles verkehrt, das Dunkle ist schneeweiss, die Sonne schwarz. Wo sind wir? Im Jenseits? In einer Zwischenwelt? Wir sind im neuen Film von Clemens Klopfenstein. Er heisst «Das Ächzen der Asche», hat am Samstag an den Solothurner Filmtagen Premiere, auf Wunsch des Regisseurs in der Nachtvorstellung im Kino Landhaus, am selben Ort und zur selben Zeit wie vor 39 Jahren sein wegweisender Film «Geschichte der Nacht». Damals drehte Klopfenstein erstmals fast ganz im Dunkeln, und zwar so überzeugend, dass Regisseur Ang Lee («Brokeback Mountain»), der den Film als Student analysiert hatte, vor ihm einmal auf die Knie ging und bewundernd «Maestro, Maestro» rief. Jetzt präsentiert Klopfenstein wieder eine Innovation: Mehr als der halbe Schwarzweissfilm kommt negativ daher, das Schwarz ist weiss, das Weiss schwarz. Eine verkehrte Welt - aber der Reihe nach, denn eigentlich dürfte es den Film gar nicht geben.
Clemens Klopfenstein
Nach der «Vogelpredigt», seinem vorherigen Film mit Polo Hofer und Max Rüdlinger, hat der Regisseur im Jahr 2005 seinen Rücktritt erklärt. Er, der im Berner Seeland aufgewachsen ist, aber seit vierzig Jahren im italienischen Bevagna lebt, hatte genug von der Buchhaltermentalität bei den Filmförderern nördlich der Alpen, genug vom ewigen Formulare ausfüllen. Lieber wollte er sich andern Dingen widmen, dem Malen, dem Fotografieren, dem Schreiben auch. Und er machte dies deutlich: Im letzten Film, der auch als das «Schreien der Mönche» bekannt ist und in dem er sich selber als Regisseur spielte, verschwand er plötzlich. Gefressen vom umbrischen Wolf. Fertig. Wirklich? Wer diesen «Clint Eastwood aus Bevagna», wie er sich manchmal selber nennt, kennt, weiss, dass es ihn wieder jucken wird. Zu sehr hat der inzwischen 73-jährige die Filmerei im Blut, er, der noch beim legendären Kurt Früh das Handwerk erlernt hatte und seither kontinuierlich drehte, von Experimentalfilmen bis zu einem Schweizer «Tatort», von Cinema-Copain-Arbeiten bis zu Dramen mit einheimischen Stars wie Bruno Ganz und Ursula Andress. Seine beiden erwachsenen Söhne sind inzwischen auch im Geschäft, einer arbeitet - wie der Vater nicht ohne Stolz erzählt - im kanadischen Vancouver bei der Firma, die mittels Filmtricks die Hochhäuser in die futuristische Stadtlandschaft von «Blade Runner 2046» eingebaut hat. Mit diesem Nachwuchs drehte Klopfenstein Kurzfilme. Und als er dann, während einer Retrospektive, mit Polo Hofer in der Schweiz auf der Bühne stand, den begeisterten Applaus entgegennahm, gaben sich die beiden schliesslich gerührt die Hände und versprachen, noch einen weiteren «Walk and Talk»-Film zu drehen - wandern und philosophieren mit Max Rüdlinger, wie erstmals 1994 im Kurzfilm «Die Gemmi - ein Übergang» der dann zum «Schweigen der Männer» (1997) ausgebaut wurde.
Polo Hofer
Aber eben. Dem im vergangenen Juli verstorbenen Mundartrocker vom Thunersee ging es schon damals nicht mehr gut. Zwar gab es ein Treffen an Polos Wohnsitz in Oberhofen, wo sich die beiden Protagonisten sofort über die Welt und besonders Gott zu streiten begannen. «Wir waren nie verlegen, einen Discorso zu halten», sagt Max Rüdlinger. «Leider hatte ich die Kamera nicht dabei», bedauert Clemens Klopfenstein. Denn später war an ein Mitwirken nicht mehr zu denken. Zuerst sollte sich Polo im Film wenigstens noch per Telefon bei Kumpel Max melden, wie er das früher auch getan hatte. Aber auch dafür war er bald zu schwach. So bleibt von ihm, von einer längeren Rückblende abgesehen, nur der Kopf. Jawohl, der Kopf. Max Rüdlinger steigt in «Das Ächzen der Asche» nämlich noch einmal in die Gruft zurück, um seinen Freund mit kräftigem Rütteln von den Toten zu erwecken. Dabei fällt aber nur der Oberteil der versteinerten Figur ab. So trägt Max den Kopf kurzerhand herum, spricht manchmal mit ihm, lässt ihn liegen, liest ihn wieder auf. «Ein verdammt schweres Ding, ich wollte ihn in einen Plastiksack stecken, aber das hat der Regisseur nicht erlaubt», erzählt der Schauspieler. Selbstverständlich durfte er das nicht. Den Kopf hat nämlich, wie es im Nachspann des Films heisst, ein gewisser Bob Josephsohn modelliert - das ist ein Pseudonym von Clemens Klopfenstein selber, in Erinnerung an den von ihm verehrten Bildhauer Hans Josephsohn.
Max Rüdlinger
In diesem Sinn trägt Klopfensteins ewiger Hauptdarsteller - es ist ihr zehnter gemeinsamer Film - fast wörtlich die Last alleine, nur ab und zu taucht Sabine Timoteo in verschiedenen Rollen auf. Aber die meiste Zeit ist einfach Max da, der durch diese verkehrte Weiss-Schwarz-Welt wandert. Damit Gesicht und Zähne trotzdem hell wirken, im Negativfilm, musste er alles schwarz anfärben zum Drehen. «Die ganze Zeit Schuewichsi im Gesicht und dazu ewig hin- und herschuenen», beklagt sich Rüdlinger noch Monate nach den Dreharbeiten. Nun muss man wissen, dass Max Rüdlinger als Nörgler von Dienst im Schweizer Film Karriere gemacht hat, als Griesgram, der mit sich und der Welt hadert. Oft ist das wunderbar, manchmal ist es ihm selber zu viel. «Der Film ist von mir zurückgetreten», sagte er einmal einem «Blick»-Journalisten, weil er kaum Rollen mehr bekam und nicht mehr nur «Arschlöcher und Hausabwarte» spielen wollte. Im «Blick» stand dann: «Ich bin vom Film zurückgetreten», was nicht dasselbe ist. Und nicht stimmt. Aber davongelaufen ist er seinem Regisseur schon, zum Beispiel mitten in den Dreharbeiten zu «Das Ächzen der Asche».
Roberto-Benigni-Intermezzo
Es ist eine typische Klopfenstein-Rüdlinger-Geschichte, die ihn in die Flucht trieb. Alles begann ganz harmlos, auf der Fahrt im Auto zu einem Drehort. Sie sprachen über die lange vergangene Zeit, als sie mit «Der Ruf der Sybilla» (1984) an einem Festival teilnahmen. In der Jury sassen der italienische Komiker Roberto Benigni und der US-Regisseur Jim Jarmusch, die sich damals kennenlernten und später zusammen Filme wie «Down By Law» drehten. Der umtriebige Benigni soll beim gemeinsamen Nachtessen am familiären Festival mit der «Sybilla»-Hauptdarstellerin Christine Lauterburg geschäkert haben, was ihren damaligen Lebenspartner Rüdlinger so eifersüchtig machte, dass er mit ihr immer abgehauen und spazieren gegangen ist. «Das hat uns damals den Preis gekostet», behauptete Klopfenstein Jahrzehnte später im Auto. Rüdlinger wurde wütend, ein Wort gab das andere. Und beim Halt an einer Raststätte verschwand er dann - zwei Tage vor Drehschluss.
Max Rüdlinger
Das war keine Witzelei mehr, kein Spiel unter Freunden. Max musste weg. Es sei aber gar nicht einfach gewesen, aus der umzäunten Raststätte rauszukommen: Zuerst musste ein Loch im Zaun gefunden werden, dann, nach langem Marsch, ein Passant, der ihn für 200 Euro zu seinem Hotel zurückbrachte. Daraufhin ist der Schauspieler tatsächlich zurück in die Schweiz gefahren. Und es hat Wochen, sogar Monate gedauert, und die Mitwirkung eines Juristen, bis die beiden Dickschädel zum Abschluss der Dreharbeiten wieder zusammenfanden. Klopfensteins Filme leben auch von solchen Reibereien, manchmal vor der Kamera, manchmal dahinter. Die beiden sind voneinander abhängig, der Regisseur vom Wortwitz des Schauspielers, der die Dialoge - oder im neuen Film Monologe - improvisiert. Und der Schauspieler vom Regisseur, der sein Medium immer wieder neu erfindet. In diesem Fall hat es sich besonders gelohnt. Vielleicht tut man den Negativfilm zuerst als Spielerei ab, die schnell langweilig wird. Aber das Gegenteil ist der Fall, es gibt immer neue Facetten zu entdecken, wird immer spannender. Und ist einfach auch verdammt schön zum Anschauen.
Clemens Klopfenstein
Er hat es also wieder getan. Gut, erfunden hat der gewitzte Tüftler, der diesen Film selber finanzierte, die Negativtechnik nicht: Der legendäre F. W. Murnau präsentierte schon 1922 eine Sequenz des Gruselfilms «Nosferatu» mit verdrehtem Schwarzweiss, Jean-Luc Godard 1965 Teile seines «Alphaville» ebenfalls. Aber so viel am Stück hat kaum jemand gedreht. Auch der Regisseur ist hochzufrieden mit dem Ergebnis. Und wollte über Weihnachten in die umbrischen Berge fahren, um dort Schnee - oh, wie der schön schwarz wäre! - aufzunehmen. Dummerweise hat es dann nicht geschneit.
Polo Hofer
Eine wunderbare Erinnerung an den Sänger, der Klopfensteins Wanderfilmen so viel Esprit gegeben hat, ist «Das Ächzen der Asche» darüber hinaus. Am Ende kullert sein Kopf ins Wasser, langsam, majestätisch. Dort bleibt er liegen, während Max Rüdlinger ebenfalls versteinert. Wetten, der Teufelskerl Klopfenstein wird einen Weg finden, ihn wieder zum Leben zu erwecken?
Das «Ächzen der Asche» läuft am 27. 1. (23.45 Uhr, Landhaus) und am 1.2. (11.45 Uhr, Uferbau) in Solothurn. Und später im Kino.